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Karikatur

Wirtschaft im Nationalsozialismus: eine Karikatur

14.09.2022
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Eine Karikatur zur wirtschaftlichen Situation in Belgien und Deutschland Ende der 1930er Jahren ist ein Beispiel für die Verführungskünste faschistischer Regime. Denn auch dazu dienen Karikaturen: zur Verfälschung existierender Situationen …

Die Eupener Nachrichten vom 29. März 1939, kurz vor den Wahlen. Auf Seite zwei der Zeitung ist eine Karikatur abgedruckt, die im Wahlkampf Stimmung machen soll.

Was ist abgebildet? Die rechte Seite des Bildes stellt Deutschland dar. Am Horizont qualmen die Schlote von Fabrikanalagen. Im Vordergrund sehen wir Arbeiter. Sie strotzen vor Kraft und sind muskulös. Ein Hakenkreuz steht für Deutschland und die wirtschaftliche Organisation durch den Nationalsozialismus. Auf der linken Seite sehen wir das Wappen des Brabanter Löwen, es steht für den belgischen Staat. An der Grenzschranke zwischen den beiden Ländern lehnen Arbeiter, die offensichtlich nichts zu tun haben. Ihre Haltung ist gebeugt und sie sehen niedergeschlagen aus. Im Hintergrund ist eine belgische Fabrikanlage zu sehen. Ihre Schlote qualmen nicht. Neben dem Bild lesen wir die Beschreibung: „In Belgien: Arbeitslosigkeit! In Deutschland Mangel an Arbeitern!“

Worauf wollte der Karikaturist hinaus? Zweifelsohne stammte sie aus der Feder eines Anhängers der Heimattreuen Front. Die Heimattreue Front war eine Partei in Eupen-Malmedy-Sankt Vith, die eine Angliederung des Gebietes an Deutschland forderte. Zur Erinnerung: Infolge der Angliederung der preußischen Kreise Eupen und Malmedy an Belgien im Jahr 1920, hatte sich allmählich eine grenzrevisionistische Bewegung in der Region entwickelt.

Nach dem Beginn der großen Wirtschaftskrise im Jahr 1931, spielte die wirtschaftliche Lage Eupen-Malmedy-Sankt Viths für die Argumentation der Revisionisten eine immer größere Rolle. Die Grenzbevölkerung konnte eine rasche wirtschaftliche Erholung Deutschlands nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beobachten. Auf diese wirtschaftliche Auffahrt Deutschlands soll dementsprechend auch die Karikatur aufmerksam machen: „Seht her, während es uns momentan in Belgien schlecht geht, entwickelt sich die Wirtschaft in Deutschland prächtig!“ Tatsächlich war die wirtschaftlich Situation Belgiens den 1930er Jahren nicht rosig. Erst am Ende des Jahrzehnts nach Steuererhöhungen, Notsteuern, Gehaltskürzungen und Währungsabwertungen war langsam Besserung in Sicht.

Allerdings verbirgt die Karikatur vieles: Die deutsche Wirtschaft funktionierte in den 1930er Jahren ‚auf Pump‘. Der Staat investierte horrende Summen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, u.a. in die Kriegswirtschaft, oder Prestigeprojekte wie die noch nutzlosen Autobahnen. Lediglich ein Krieg konnte dieses Wirtschaftswachstum auf Dauer aufrechterhalten. So schreibt auch der Historiker Götz Aly in seinem Buch Hitlers Volksstaat (2005): „In ihrer Propaganda prahlten die NS-Führer, sie würden das Fundament für das Tausendjährige Reich legen, im Alltag wussten sie nicht, wie sie am nächsten Morgen ihre Rechnungen begleichen sollten“. Es ist die Anziehungskraft faschistischer Regime, die uns durch diese Karikatur vor Augen geführt wird. Denn auch dazu dienen Karikaturen: Zur Verfälschung existierender Situationen.