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Karikatur

„Soyez bienvenu“: Eine Karikatur der PDB

14.09.2022
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Die Partei der Deutschsprachigen Belgier (PDB) hatte in den 1970er und 1980er ihre ganz eigene Vision von der wirtschaftlichen Zukunft Ostbelgiens. Eine Karikatur legt diese Vision offen …

In einem ersten Schritt sollte immer genau beobachtet werden, was konkret abgebildet ist: Hier ziehen drei Männer einen Karren mit der Aufschrift „Deutschbelgien“, eine Bezeichnung für Ostbelgien, die vor allem in den 1970er und 1980er Jahren von Autonomiebefürwortern verwendet wurde. Die Männer tragen auf ihren Mänteln die Namen der drei ostbelgischen traditionellen Parteien: PFF (Liberale), SP (Sozialisten) und CSP (Konservative). Es sind ebenfalls schäbige Gebäude oder Ruinen sowie ein Banner mit der Aufschrift „Soyez bienvenu“ (Seid herzlich willkommen) abgebildet.

Offensichtlich stammt die Karikatur aus dem Jahr 1982, wie eine kleine Zahl neben den Initialen des Zeichners zeigt. Um sie einordnen zu können, müssen wir den historischen Kontext berücksichtigen. Am Anfang der 1980er Jahre wurde die zweite belgische Staatsreform geplant und durchgeführt. Nachdem Belgien im Zuge der ersten Staatsreform (1968-1971) in Kulturgemeinschaften eingeteilt worden war, erfolgte nun die Einteilung des Landes in Regionen. Diese Regionen waren für die wirtschaftliche Entwicklung verschiedener Gebiete zuständig. Wie diese Gebiete aussehen sollten, war in Belgien und Ostbelgien Thema langanhaltender Diskussionen.

Die PDB sprach sich im Gegensatz zu den drei traditionellen Parteien in dieser Zeit klar gegen eine wirtschaftliche Zugehörigkeit des deutschen Sprachgebietes zur Wallonie aus. Die PDB war eine Partei, die sich für eine gleichberechtigte Autonomie Ostbelgiens gegenüber Flandern und der Wallonie einsetzte. Da die Karikatur von der PDB oder eines ihrer Anhänger stammt, veranschaulicht sie das Stimmungsbild unter den ostbelgischen Parteien auf sehr prägnante Weise und legt vor allem die eigenen Argumente offen:

Zunächst verdeutlicht das Bild, welchen Diskurs die PDB gegenüber den anderen Parteien vermittelte. Die drei traditionellen Parteien zögen Ostbelgien in die Wallonie hinein. Hierfür steht stellvertretend das Banner „Soyez bienvenu“, das auf die frankophone Wallonie verweist. Hiermit verdeutlicht der Zeichner die Haltung der PDB: Diese befürchtete, dass Ostbelgien französisiert und in der Wallonie aufgehen würde, wenn man das Gebiet nicht genug schützte.

Aber auch die wirtschaftliche Strategie der Partei wird offengelegt: Die Häuser, zu denen der Karren gezogen wird, sind nicht intakt. Hiermit gab der Zeichner überspitzt die Meinung der PDB wieder. Die Partei wollte wirtschaftlich kein Teil der Wallonie werden, da man nicht am wirtschaftlichen Niedergang des Gebietes – hierfür stehen die Ruinen – teilhaben wollte. Zur Erinnerung: Das vormals wirtschaftlich starke Gebiet befand sich seit den 1960er Jahren in einer Krise, die sich in den 1970er und 1980er Jahren noch intensivierte. Die PDB hatte Angst, dass sich diese strukturelle Schwäche der Wirtschaft bei einer Angliederung an die Wallonie auf Ostbelgien übertragen würde. Auch argumentierte man, dass Kultur und Wirtschaft untrennbar miteinander verbunden seien. Nicht umsonst spreche man beispielsweise von ‚Unternehmenskultur‘. Die Partei strebte daher eine eigene Region Ostbelgien oder eine stärkere wirtschaftliche Anbindung an das Rheinland an.

Letztlich wurde Ostbelgien während der zweiten Staatsreform ein Teil der Wallonischen Region. Ab diesem Zeitpunkt existierten drei Regionen in Belgien: die Wallonie, Flandern und Brüssel. Seit 1999 streben alle Parteien Ostbelgiens (außer Vivant) eine wirtschaftliche Trennung von der Wallonischen Region und die Schaffung einer „vierten Region Ostbelgien“ an.