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Biographien

Herman Baltia

30.06.2022
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Herman Baltia (* 1. September 1863 Saint-Josse-ten-Noode; † 16. September 1938 Saint-Gilles) hatte nach dem Ersten Weltkrieg den Auftrag, das Gebiet Eupen-Malmedy-Sankt Vith im Zuge einer Übergangsphase in den belgischen Staat einzugliedern und die Bevölkerung zu integrieren.

Durch das Inkrafttreten des Vertrags von Versailles 1920 wurde Belgien die Hoheit über die 1815 geschaffenen preußischen Kreise Eupen und Malmedy übertragen. General Herman Baltia wurde zum Hohen Kommissar und Gouverneur des Gebiets ernannt. Seine Entscheidungen stellten während zwanzig Jahren die Gleise für die Zukunft des heutigen Ostbelgiens. Der Hohe Kommissar verfügte in Eupen-Malmedy-Sankt Vith über beinahe uneingeschränkte und unbefristete Vollmachten. Damit konnte er die belgische Gesetzgebung schrittweise einführen und die neuen Gebiete an das belgische Schul-, Rechts- und Wirtschaftswesen anpassen. Weitere Aufgaben der Übergangsregierung waren die Durchführung der „öffentlichen Meinungsäußerung“, die zur Angliederung an Belgien führte, die Reorganisation der Verwaltung der ihm unterstellten Gebiete sowie die Vorbereitung der definitiven Angliederung des Gebietes.

Baltia, der Sohn eines Generals luxemburgischer Abstammung und einer deutschen Mutter war, studierte Politikwissenschaften an der Universität Lüttich und absolvierte danach eine Ausbildung an der École Royale Militaire und der École de Guerre. Nach Abschluss seiner Studien entschloss er sich für den Militärberuf und wurde 1885 zum Unterleutnant im 11. Linienregiment ernannt. 1890 wurde er in die Kriegsakademie versetzt und verließ sie mit dem Patent des Generalstabsoffiziers. Vor dem Ersten Weltkrieg war er im belgischen Kolonialdienst tätig. Bei Ausbruch des Krieges war er erster Generalstabsoffizier der 1. belgischen Kavalleriedivision. Während des Konflikts schnell befördert und mehrfach dekoriert, wurde er am 28. März 1919 zum Generalleutnant erhoben. Zuletzt Kommandeur der 9. Infanterie-Division, die aus dem 14. Infanterie-Regiment und den 1. und 4. Jägern zu Fuß bestand, wurde er am 22. Oktober 1919 aufgrund seiner Deutschkenntnisse und seines Organisationstalents zum Gouverneur von Eupen-Malmedy ernannt.

Baltia ist nicht unumstritten, insbesondere wegen der vom Versailler Vertrag festgelegten und von ihm durchgeführten „öffentlichen Meinungsäußerung“ in den Ostkantonen, der von seiner Regierung ausgeübten Zensur und teils unterstellter Assimilierungsversuche. Zur Eingliederung der Ostkantone in das belgische Staatsgefüge wurde Baltia mit legislativer und exekutiver Gewalt ausgestattet. Der Gouverneur unterstand lediglich dem damaligen Premierminister. Premierminister Léon Delacroix schrieb dem General kurz vor seiner Ernennung einen Brief, aus dem sich ein Satz tief ins kollektive Gedächtnis der deutschsprachigen Belgier eingebrannt hat: „Prenez soin que tout marche sans problème et que les coûts restent raisonnables. Vous serez comme le gouverneur d’une colonie qui est directement en contact avec la patrie.“ (dt.: Sorgen Sie dafür, dass alles reibungslos abläuft und dass sich die Kosten in Grenzen halten. Sie werden wie der Gouverneur einer Kolonie sein, die im direkten Kontakt mit dem Mutterland ist).

Trotzdem hat Baltia durch seine Sondervollmachten eine Reihe von Sprach- und Integrationsproblemen auffangen können. Die belgischen Behörden hingegen, die 1925 nach der Abschaffung des sogenannten Generalgouvernements Baltia das Ruder übernahmen, ließen des Öfteren den besonderen Status und die damit verbundenen Empfindsamkeiten der neuen Mitbürger außer Acht. Baltias Handeln veränderte Ostbelgien nachhaltig. Er formte das politische Leben im heutigen Ostbelgien um und passte es auf die belgischen Gegebenheiten an.

Quellen

Heinz Doepgen, Die Abtretung des Gebietes von Eupen-Malmedy an Belgien im Jahre 1920, Bonn, Ludwig Röhrscheid, 1966, S. 60.

Els Herebout (Hg.), Generalgouverneur Herman Baltia. Memoiren 1920-1925, Brüssel, Generalstaatsarchiv, 2011 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der deutschsprachigen Belgier 5).

Jacques Willequet, „Baltia, Herman (baron)“, in: Biographie Nationale, Bruxelles, Emile Bruylant, 1984, vol. 40, S. 17-21.