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Ostbelgien für Einsteiger

Die Autonomie (1973)

1.08.2022
  • Labor
  • Ostbelgien für Einsteiger

Deutschsprachige Studenten wurden seit Anfang der 1960er Jahre an belgischen Universitäten – vor allem in Löwen – mit dem Sprachenstreit zwischen Flamen und Wallonen konfrontiert. Flämische Studenten kämpften um Anerkennung ihrer Sprache und Kultur, um Mitsprache und Autonomie in Belgien. Es wurde klar, dass der belgische Zentralstaat keine Zukunft mehr hatte und dass durch eine Umstrukturierung auch die rechtliche Stellung der deutschsprachigen Minderheit neu definiert würde.

Die Verfassung wurde in der belgischen Kammer und im belgischen Senat seit 1968 mehrmals abgeändert. Die belgischen Parteien hatten unterschiedliche Visionen, was die Zukunft der deutschsprachigen Minderheit anbelangt. Dieses Mal forderte vor allem die Sozialistische Partei eine Assimilierung der Deutschsprachigen. Die Volksunie, eine Partei, die sich für die Rechte der Flamen einsetzte, und auch Teile der Christlich-Sozialen Partei unterstützten die Deutschsprachigen oder gingen zumindest bis zu einem gewissen Grad auf ihre Forderungen ein – auch vor dem Hintergrund der Schaffungen ostbelgischer Druckgruppen, wie der Partei Deutschsprachiger Belgier (PDB).

Der französische und der niederländische Kulturrat wurden 1971 eingerichtet. Auch die Deutschsprachigen erhielten einen eigenen Rat, den „Rat der deutschen Kulturgemeinschaft“. Dieser wurde 1973 eingesetzt. Er konnte allerdings nur Zuschüsse verteilen, aber nicht politisch gestalten. Immerhin erhielten die deutschsprachigen Belgier ein Recht, das die Flamen und Wallonen nicht besaßen: Sie durften ihren Kulturrat direkt wählen, was 1974 erstmals geschah.

Nach sechs Staatsreformen hat Ostbelgien seinen Platz im Bundesstaat Belgien gefunden. Die Minderheit verfügt über die gleiche Autonomie wie die anderen Kulturgemeinschaften. Laut Verfassung ist sie auch Teil der Wallonischen Region. In allen regionalen Befugnissen, wie Wirtschaft, Infrastruktur u. a., kann die Minderheit nur bedingt mitbestimmen. Deshalb hat sich seit 1980 ein politisch enges Verhältnis zur Wallonischen Region entwickelt, das zwischen enger Kooperation und Missverständnissen schwankt.

  • Michel_Pauly
    Michel Pauly
Meinung:

Zu Minderheiten in Luxemburg:

„Die Debatte über die Gleichberechtigung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen ist in Luxemburg von existenzieller Bedeutung. Ein rezentes Beispiel hierfür war das Referendum von 2015, in dem die luxemburgischen Wähler u. a. gefragt wurden, ob alle volljährigen Nicht-Luxemburger das passive Wahlrecht – für alle volljährigen Luxemburger gilt die Wahlpflicht – erhalten sollten oder nicht. Auf diese Frage, wie auf die beiden anderen Fragen antworteten ungefähr 80% der Wahlberechtigten mit nein. Entgegen der Möglichkeit, ein Zeichen der Weltoffenheit Luxemburgs zu setzen, haben die meisten Luxemburger nach dem Prinzip der Nationalzugehörigkeit entschieden: Jemand, der nicht Luxemburger ist, ganz egal ob diese Person nun Luxemburgisch spricht – das Hauptmerkmal der luxemburgischen Identität – solle auch in Zukunft kein politisches Mitspracherecht in Luxemburg besitzen.“